<-- back to Cyberlaw Workshop
 
Daniel Riek 
 
Softwarepatente gefährden Fortschritt durch Wettbewerb 

Daniel Riek ist Vorsitzender des Vorstandes der ID-PRO AG, eines auf Freie Software spezialisierten Dienstleisters für Informationstechnologie, und Vorstandsmitglied im deutschen Linux-Verband LIVE.  
 
 

Seit Monaten kursieren Gerüchte über Inhalt und Kurs der beabsichtigten Klarstellung zur Patentfähigkeit von Softwareprogrammen in Europa. Es geht um eine bedeutsame Weichenstellung für die zukünftige Entwicklung der neuen Informationsökonomie und ihre Spielregeln. Soll Europa dem US-amerikanischen Beispiel folgen und Computerprogramme grundsätzlich patentfähig machen, auch auf die Gefahr hin, daß dann die Märkte weitgehend von ausländischen Softwarekonzernen beherrscht werden? Oder soll Europa bei seiner bisherigen grundsätzlichen Ablehnung bleiben und sie nur strikter umsetzen, als dies bisher der Fall ist?  

Erklärungen der alten EU-Kommission vom 15. Februar 99 deuten darauf hin, daß Brüssel an eine Übernahme des US-amerikanischen Patentrechts denkt, auch wenn es vordergründig heißt, es gehe nur um eine Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Praktiken bei der Softwarepatentierung. Der Hinweis auf eine notwendige Revision des Münchener Patent-Übereinkommens zur Anpassung an den technologischen Fortschritt bei der Patentierbarkeit von Computerprogrammen zeigt, wie die zuständige Generaldirektion denkt.  

Weniger eindeutig ist die Haltung der Bundesregierung. Einerseits will man die gegenwärtigen Unklarheiten hinsichtlich der Softwarepatente beseitigen, andererseits am materiellen Recht nichts ändern. Das aber scheint ein Vorhaben zu sein, das einer Quadratur des Kreises gleichkommt.  

Das zuständige Bundesjustizministerium hält offensichtlich die neuere Praxis des Europäischen Patentamtes für einen akzeptablen Weg, bei dem zwischen nicht patentierbaren und patentierbaren Softwareprogrammen unterschieden wird. Ob angesichts der im Einzelfall sehr komplizierten Abgrenzungen die gewünschte Klarheit erreicht wird, darf bezweifelt werden.  

Das gilt auch für die von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin Anfang August in einem Interview mit der Zeitschrift c't (Nr. 16/99) dargebotenen Unterscheidung zwischen nicht-patentierbarem Quellcode und patentierbaren Computerprogrammen zum Beispiel für das Gebiet der Rechen- und Speichertechnik und für jedes andere technische Gebiet. Denn jedes Computerprogramm hat einen Quellcode. Der Quellcode eines Programms ist die von Entwickler geschriebene und vom Menschen lesbare Form. Für die konkrete Anwendung im Computer wird das Programm nur in eine binäre, vom Rechner interpretierbaren Form umgewandelt, die für unterschiedliche Rechnersysteme unterschiedlich ist. Technisch wird diese Unterscheidung noch schwieriger, wenn Konzepte wie Interpreter oder Bytecode für virtuelle Maschinen, ein Konzept auf dem beispielsweise die besonders im Internet verbreiteten Sprache Java beruht, zum Einsatz kommen.  

Möglicherweise huldigt das Justizministerium der Vorstellung, dass man jede lösungsorientierte Zusammenstellung von Rechenregeln (Quellcode), von seiner binären Form rechtspraktisch trennen könnte. Das scheint zwar absurd für Informatiker. Aber Juristen haben schon vieles zustande gebracht.  

Damit ließe sich möglicherweise die in jüngster Zeit zu beobachtende Annäherung einiger nationaler Patentämter und des Europäischen Patentamtes (EPA) an die US-amerikanische Rechtsauffassung stoppen. Sie war eine Folge der von amerikanischen Softwarekonzernen und ihren Patentanwälten unterstützten Übertragung der ingenieurwissenschaftlichen Denk- und Verfahrensweisen auf das völlig andere Feld der angewandten Mathematik, die Gegenstand von Software ist.  

In der Mathematik gibt es grundsätzlich keine Erfindungen, sondern nur Entdeckungen. Mathematische Formeln sind keine Produkte menschlichen Erfindungsgeistes. Was immer an mathematischen Methoden entdeckt wird, es hat sie immer schon gegeben. Daher sind mathematische Rechenverfahren und ihre Anwendung - und nichts anderes sind Computerprogramme - der Patentierung entzogen. Zu Recht heißt es deshalb im deutschen Patentgesetz und entsprechend im Europäischen Patentübereinkommen, dass Programme für Datenverarbeitungsanlagen an sich keine patentfähige Erfindungen darstellen.  

Dahinter steht eine klare normative Entscheidung: Mathematische Formeln sollen nicht in Privateigentum übergehen können. Algorithmen sollen auch in der gewerblichen Anwendung der Privatisierung durch Patente entzogen sein. Das ist im Kern die bisherige Auffassung des Gesetzgebers. Allerdings hat der Gesetzgeber selbst zur heute beklagten Verwirrung beigetragen, indem er programmbezogene Erfindungen für patentfähig erklärte, wobei weiterhin strittig ist, ob diese Patentfähigkeit das Programm oder die Erfindung meint, die als Attribut ein Softwareprogramm hat.  

Doch ist dies das Einfalltor, durch das Patentabteilungen von Industriefirmen und findige Patentanwälte in jüngster Zeit einzelne Patentämter und -gerichte in Europa zu einer dem Kern des Gesetzes widersprechenden Praxis bewegen konnten.  

Allerdings gibt es noch weitere elementare Zweifel, ob die für materielle Produkte entwickelten Regeln der Patentierung für den Umgang mit immateriellen Gütern wie Softwareprogrammen ohne weiteres geeignet sind. Ulrich Klotz hat kürzlich in einem bemerkenswerten Aufsatz in der FAZ (26.7.99) darauf hingewiesen, dass für immaterielle Güter, also für Daten, Informationen, Wissen und so weiter, andere Regeln entwickelt werden müssen als für materielle Güter. Er verweist darauf, daß die traditionelle Wirtschaftslehre noch nicht einmal über Begriffe für die Ressourcen verfügt, auf denen der Wertschöpfungsbegriff und der Handel mit nichtgreifbaren Werten (Informationen und Dienstleistungen) basiert, geschweige denn über brauchbare Modelle und Erklärungsansätze für diese Art von (Informations-)Ökonomie. Als ein Beleg für die Notwendigkeit neuer politischer Regeln weist Klotz darauf hin, dass im Gegensatz zu materiellen Gütern Informationen transferiert, verschenkt, verkauft oder getauscht werden können, ohne dass sie ihren ursprünglichen Besitzer verlassen. Dass Informationsprodukte nur einmal geschaffen werden müssen, um von allen verwendbar zu sein; dass in der alten Ökonomie sich die im Produktionsprozess eingesetzten Faktoren verbrauchen - um mehr zu produzieren muss man mehr von ihnen einsetzen; Im Gegensatz dazu sind in der neuen Ökonomie Wissen und Informationen Produktionsfaktoren, die sich nicht erschöpfen, sondern durch ihren Gebrauch sogar vermehren.  

In dieser neuen Welt der immateriellen Güter stoßen auch die gewohnten Patentprüfungsverfahren schnell auf grundsätzliche Grenzen. Zum Beispiel hinsichtlich der geforderten ''erfinderischen Leistung''. Bei vielen angeblich schon geschützten Softwarepatenten ist zweifelhaft, ob es sich wirklich um eine ''Erfindung'' handelt, oder vielmehr um etwas, das in naheliegender Weise aus dem bekannten mathematischen Wissen sowieso folgt und einem vor die gleiche Aufgabe gestellten Informatiker ohne weiteres auch einfallen würde. Der zweite grundsätzliche Zweifel bezieht sich auf die Schwierigkeit, die Neuheit einer eingereichten Lösung festzustellen.  

Zur Beurteilung beider Aspekte sind nicht nur Prüfer und Gutachter notwendig, sondern auch entsprechendes Referenzwissen. Das aber steht allein schon deshalb nicht zur Verfügung, weil die meisten Softwarefirmen sich bisher auf das Urheberrecht verlassen und ihre Programme nicht offengelegt oder dokumentiert haben. Daher ist der ''Stand der Lehre'', also das Anwendungswissens, das tatsächlich existiert, den Patentbehörden und ihren Prüfern letztlich unbekannt. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dürfte es zweifelhaft sein, ob die Rechtsordnung private Verfügungsrechte über die Anwendung von mathematischen Formeln per Patenterteilung einräumen kann, deren sachlicher Anspruch hinsichtlich der tatsächlichen Neuheit nicht eindeutig erweisbar ist und angesichts der Umstände auch nicht erwiesen werden kann.  

Die mittleren und kleine Software-Unternehmen bevorzugen bekanntlich das Urheber- und nicht das Patentrecht zum Schutz ihrer Produkte. Das kann ihnen der Gesetzgeber nicht vorwerfen und noch weniger ein Patentamt. Die Firmen tun dies vor allem, weil ihnen das Urheberrecht die Geheimhaltung des Quellcodes erlaubt und weil ihnen der Zeitaufwand einer Patenterteilung absurd erscheint. Er liegt für deutsche Patente bei zwei bis zweieinhalb Jahren, für europäische Patente bei bis zu vier Jahren. Bei der gegenwärtigen Dynamik der Softwareentwicklung dauert die Patenterteilung einfach zu lange. Auch die hohen Kosten für weltweite Patente schreckt viele ab, zumal dann auch ein ständiges Monitoring der einschlägigen Patententwicklungen notwendig ist.  

Bei den Softwarefirmen besteht der Eindruck, dass sich die Politiker an dem Argument berauschen, die Zahl der Patentanmeldungen sei ein Indikator für technischen Fortschritt und die Innovationshöhe einer Gesellschaft. Tatsächlich nehmen gerade viele kleinere Firmen von einer Patentanmeldung Abstand, weil sie den Konkurrenten keine Übersicht über den von ihnen erreichten Stand der Technik geben wollen.  

Die kleinen und mittleren Firmen haben umgekehrt die Großen im Verdacht, mit Patenten ihre Stellung am Markt sichern zu wollen und den Marktzutritt über die Reklamation von Patenten zu erschweren. Daher argumentieren manche Verbände, Software-Patentierung liege nicht im Interesse ihrer vor allem mittelständischen Mitglieder. Wenn das Justizministerium den betroffenen Firmen und Verbänden jetzt vorwirft, sie hätten die Wettbewerbsnachteile selbst verschuldet, weil sie nicht schon längst auf den von Großkonzernen unter Dampf gesetzten Zug der Softwarepatentierung aufgesprungen seien, grenzt das an politische Unverschämtheit. Immerhin gibt das Justizministerium selbst zu, daß Patente in einem Spannungsverhältnis zum Wettbewerb stehen. Deshalb sei es ein Kernstück der angekündigten Überprüfung, zu einer interessengerechten Lösung und Abgrenzung zu kommen, damit der Wettbewerb nicht in unangemessener Weise behindert werde. Es wird Zeit, dass sich auch das Bundeswirtschaftsministerium als Fürsprecher und Hüter des Wettbewerbs in dieser Frage zu Wort meldet.  

Die schärfsten Argumente gegen Software-Patentierung kommen derzeit von der Freien-Software-Bewegung. Sie fordert, dass auch politisch neu darüber nachgedacht werden muß, ob Patente in der neuen Informationsökonomie noch die gleiche Rechtfertigung haben wie in der alten Industriegesellschaft. Dahinter steht die ganz pragmatische Frage, ob Softwarepatente nicht den Fortschritt hemmen, statt ihn zu fördern, wie die Anhänger der Patentierungsforderung behaupten.  

In den USA ist die Patentierung von Algorithmen möglich. Allein IBM, so wird behauptet, läßt sich fast jeden Tag eine neue Anwendung patentieren. Auch Microsoft nennt zahlreiche Software-Patente sein eigen. Die amerikanischen Softwarekonzerne handeln bereits mit Patenten, um jeweils auf ihren Schwerpunktfeldern die exklusive Nutzung digitalen Problemlösungen sicherzustellen und die Nutzung der entsprechenden Algorithmen durch andere zu verhindern oder sich teuer bezahlen zu lassen.  

Oft wird ein umfangreiches Patent-Portfolio von grossen Firmen genutzt, um sich vor Patent-Angriffen zu schützen. - Frei nach dem Motto ''Verklagst Du mich, finde ich schon irgendwo ein Patent, um Dich zu verklagen''. Kleine Firmen mit wenigen Patenten ziehen hier naturgemäss den Kürzeren, zumal sie ohnehin finanziell kaum in der Lage sein dürften, einen längeren Rechtsstreit gegen einen Konzern wie Microsoft, IBM oder Siemens durchzustehen. So ist das Argument der Patent-Befürworter, Software-Patente förderten kleine, innovative Unternehmen, nicht zu halten.  

Wettbewerb ist in den USA für die Patentlaufzeit nicht mehr möglich, was bereits wieder Kritiker, insbesondere aus dem Umfeld der Freien-Software-Bewegung, auf den Plan gerufen hat. ''Programmierer in den USA leben gefährlich'', sagte Richard Stallman, einer ihrer Wortführer, kürzlich in Berlin, ''weil hinter jeder Zeile, die du programmierst, ein Patent liegen könnte, das dich in die Luft jagt''.  

Stallman beschreibt damit eine Entwicklung, die auch die europäischen Programmierer bedrohen würde, sollten die Parlamente die Patentierung von Algorithmen zulassen. In einem mittleren Software-Projekt werden unzählige Algorithmen verwendet. Software-Patente würden dazu führen, dass neben der Qualität der Entwickler mit einem Mal vor allem die Qualität der Rechtsabteilung über Gedeih oder Verderb einer Software-Firma entscheidet. Für kleine, innovative Firmen, die sich kein Heer von Patentanwälten leisten können, würde Softwareentwicklung damit zum unkalkulierbaren Risiko. Der Microsoft-Prozeß in den USA hat zudem belegt, dass im Konfliktfall der Besitz eines Patentes der kleineren Firma selten nützt: die großen Software-Konzerne haben einfach zu viele Druckmittel. Daher stellt sich für viele Mitglieder des Linux-Verbandes und die Entwickler-Gemeinde die Frage: ''Wem sollen Software-Patente nützen?''  

Der Hinweis auf die US-Praxis ist für sich kein Argument, die gleiche Norm in Europa einzuführen. Schließlich denkt auch kein Verantwortlicher daran, bei uns die Todesstrafe einzuführen, nur weil es sie in den USA gibt. Die europäischen Regierungen müssen sich darüber im klaren sein, dass die Übernahme des amerikanischen Modells bedeutet, dass Europa zur tributpflichtigen Provinz der amerikanischen Softwareindustrie wird und deren Vorsprung nie mehr einholen kann, wenn einmal die US-Patente in Europa durchsetzbar geworden sind.  

Mehr Sinn macht die gegenteilige Strategie und damit die Beibehaltung der ursprünglichen Idee, die Anwendung von Algorithmen und damit Softwareprogramme vom Patentrecht auszuschließen. Auch Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung sind für Patente Tabu. Schließlich gibt es auch keine Patentierbarkeit von Romanideen, Kochrezepten oder Rechtschreibungsregeln. Der Schutz von Computerprogrammen durch das Urheberrecht sollte genügen.  

Europa könnte damit zum Zentrum freier Software-Entwicklung werden. Kleinere amerikanische Softwareproduzenten sind jetzt schon interessiert, für europäische Firmen zu arbeiten, weil sie auch umfangreichere Programme schreiben können, ohne ständig die Sorge haben zu müssen, Patentrechte zu verletzen.  

In der heraufziehenden Wissens- und Informationsgesellschaft wird Wissen zum Produktionsmittel, das Wohlstand schafft. Dieses Produktionsmittel, wenn auch nur zeitlich befristet, in das Privateigentum weniger Konzerne zu legen, macht keinen Sinn. Denn im Unterschied zur klassischen Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, in der die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Sachkapital die entscheidende Größe für den Produktivitätsfortschritt und den dadurch vermittelten Wohlstand war, ist in der neuen Ökonomie der Wissens- und Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts das an Personen gebundene Humankapital, das von vielen Menschen durch Aus- und Weiterbildung erworben werden kann, der entscheidende Faktor für die wirtschaftliche Basis des privaten und gesellschaftlichen Wohlstandes. Für Softwarefirmen sind die Mitarbeiter das entscheidende Unternehmenskapital. Mit Hilfe der Softwarepatente könnten nun einige Konzerne versuchen, sich von diesem Humankapital unabhängig zu machen und ihre Entwickler faktisch zu enteignen, weil mit der Patentierung die Algorithmen der weiteren Verfügung durch die Autoren entzogen würden.  

Deshalb ist die Entscheidung, ob man mathematische Formeln als intellektuelles Gemeineigentum definiert oder über die Patentierung in die Exklusivität privater gewerblicher Nutzung gibt, eine eminent politische Entscheidung. Sie kann nicht als Verwaltungsangelegenheit betrachtet oder der Pfiffigkeit von Patentanwälten und Lobbyisten überlassen werden. Diese eminent politische Grundsatzfrage muß in allen Zukunftsdimensionen von demokratisch legitimierten Parlamenten diskutiert und entschieden werden. Im Rahmen dieser Diskussion müssen die Folgen einer Regelung genauestens untersucht werden und die Bedürfnisse der Betroffenen müssen in die Diskussion einfliessen.  
 
 

<-- back to Cyberlaw Workshop